Die spinnen, die Amerikaner! Oder wie ist es sonst zu erklären, dieses Chaos der letzten Tage, die Posse um die Wahl des Speakers des Repräsentantenhauses, immerhin das dritthöchste Amt im Staat?
Aber man muss das Standing des Kandidaten schon bewundern! 15 Wahlgänge lang lässt er sich von seinen ultrarechten Parteikumpanen vor sich hertreiben. Anscheinend ist er aus anderem Holz geschnitzt als Politiker hierzulande. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Sache mit dem „Heidemörder“, der in drei Wahlgängen seiner Partei und seiner Ministerpräsidentenkandidatin Heide Simonis in Schleswig-Holstein die Stimme verweigerte, woraufhin diese entnervt aufgab und sich aus der Politik verabschiedete. Drei Wahlgänge… pah!
Und man stelle sich mal eben vor, dass SPD-Ultras bei der Wahl ihrer Bundestagspräsidentin Bärbel Baas Runde um Runde ihre Stimmen verweigert hätten, bis besagte Kandidatin dem Druck nachgibt und weitreichende Zugeständnisse macht… sagen wir mal sowas wie die Verstaatlichung von BMW, wie irgendwann von Kevin Kühnert gefordert, als er noch nicht SPD-Generalsekretär war, oder die Einführung von Arbeiter- Bauernräten auf Länderebene oder was immer die sozialistische Mottenkiste so hergeben könnte. Und dafür anschließend von den Ultras als unwählbar verhöhnt wird, weil man ja sehe, dass sie keine Überzeugungen habe, wenn sie diese mir nichts dir nichts für einen Machtposten Bord werfe. Der Berliner Sumpf gehöre ausgetrocknet und damit dürfe man nicht den Alligator beauftragen!
Dass hierzulande regelmäßig immer nur der AFD-Kandidat bei der Vizepräsidentenwahl im Bundestag durchfällt, mag schlichten Gemütern in diesem Licht ungerecht erscheinen, vielleicht bedeutet es aber auch nur, dass es hier doch noch Menschen mit genug Verantwortungsbewusstsein gibt, die sich der Amerikanisierung der deutschen Politik entgegenstemmen, indem man diejenigen, die den Staat verachten, eben nicht in Machtpositionen wählt. Wobei die Machtfülle eines Bundestagsvizepräsidenten eher überschaubar ist. Aber: wehret den Anfängen!
Aber wie weiter in Amerika, dieser ältesten Demokratie der Welt, die doch schwach und gefährdet wie nie erscheint? In der es nicht einmal der oberste Demokratieverächter Donald Trump noch vermag, seine von ihm herbeigerufenen Geister zu bändigen, immerhin hatte er dazu aufgerufen, Kevin McCarthy zu wählen. Vielleicht ist er der Nächste, der von seinem eigenen Gezücht davon gejagt wird. Wie ein Clan-Chef, alternd und schwach, der erleben muss, wie die nächste Generation die Macht an sich reißt und unter sich aufteilt. Manch einer mag das mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen: wenigstens nicht mehr Trump! – aber Vorsicht: Ron deSantis, der „Trump with brain“, derzeit Gouverneur in Florida, mag eine äußerlich bessere Figur abgeben als DT, in seinen Ansichten ist er aber eher noch radikaler, es ist die Frage, ob das ein gute Tausch wäre…
Der kurzfristige Hoffnungsschimmer nach den Kongresswahlen, die Erleichterung, dass es doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet gekommen war, weicht einer verkaterten Ernüchterung wie nach einer Siegesfeier mit zu viel billigem Champagner.
Der Politikbetrieb in Geiselhaft einer Gruppe verantwortungsloser, machtversessener Dickköpfe, die nun wichtige Posten besetzen wird und durchgesetzt hat, dass eine einzige Stimme ausreichend ist, um ein Misstrauensvotum gegen den Speaker in Gang zu setzen. Wie soll da Politik gemacht werden? Deren Wesen immer der Kompromiss ist, mühsam zwar, oft unbefriedigend, mit dem Tempo einer alternden Schnecke, tatsächlich aber alternativlos, in diesem Zusammenhang passt der Begriff tatsächlich. Kompromisse mit Menschen, die Kompromisse als Schwäche auslegen und verachten… die älteste Demokratie der Welt bräuchte nichts weniger als einen Neustart, eine Änderung des völlig aus der Zeit gefallenen Wahlrechts, aber woher soll die Kraft dafür kommen? Oder wenigstens die Einsicht? Davon ist nichts in Sicht und so werden wir weiter dem Zerfall zusehen und uns gruseln. Und hoffen, dass einmal nicht alles, was in Amerika geschieht, irgendwann auch bei uns ankommt.
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Super geschrieben und kenntnisreich wie immer 👍🏻
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