Das kleine Mädchen hockte auf einer trockenen Grassode. Über ihm spannte sich der hohe Augusthimmel, am Horizont etwas diesig, in der Höhe blau und weit.

Es trug ein kurzes Kleid, die Spitzen des abgestorbenen Grases piekten an seinen Oberschenkeln. Die kurzen Söckchen waren nicht mehr ganz sauber, an den abgelaufenen Sandalen klebte an einer Seite trockener Kuhdung.

Libellen tanzten über der Wasserfläche ein paar Schritte entfernt. Hierhin, dorthin. Das kleine Mädchen lauschte angestrengt, es gelang ihm nicht, die Sprache der Libellen zu vernehmen.

Der Himmel spiegelte sich nicht im Wasser. Eine schwarzpolierte Fläche mit blauschillernden Libellensprenkeln. Kein Grund zu sehen, nichts wahrzunehmen von dem, was sich womöglich unter der Oberfläche verbarg.

Für einen Moment war es still, sogar die Vögel schienen über die Mittagszeit ihr Sommergezwitscher eingestellt zu haben.

Rundherum war wenig, was den Blick eingefangen, aufgehalten hätte. Kahle Flächen mit Heidekraut bewachsen und mit fedrig-weißen Wollgrasblütenköpfen betupft, von Brombeerranken überwuchert. Die geraden Linien der Torfgründe, abgestochen und ausgehoben in Generationen, mit schwarzem Wasser gefüllt, an den Rändern trügerischer Grassoden-Boden, schwankend, schmatzend, saugend. Ab und an ein Birkenschößling oder ein kleines Birkenwäldchen auf den Flächen, die nicht mehr bearbeitet und gepflegt wurden und auf die sich die Moorschafe nicht trauten. Über allem lag der schwere feuchte Geruch nach Moor und Ewigkeit, selbst in dieser Jahreszeit, wenn das Wasser niedrig stand.

Das Kind zog die Nase kraus und knibbelte die Borke von einem Mückenstich, der schon lange nicht mehr juckte. Es betrachtete das Blut, das aus der Wunde sickerte, wischte es mit dem Handrücken ab, ein kleiner blassroter Streifen blieb zurück.

Man hätte meinen können, das kleine Mädchen wäre völlig allein in der Weite, verloren gegangen, vergessen worden. Obwohl man ein Kind doch nicht vergaß, oder?

Natürlich hatte man es nicht vergessen oder verloren. Ganz im Gegenteil, man hatte es angewiesen, hier auf dieser Grassode sitzen zu bleiben. Oder sich höchstens in einem kleinen Umkreis davon zu bewegen. Und immer erst vorsichtig mit der Fußspitze auf die nächste Grassode zu tippen, bevor man den ganzen Fuß aufsetze und das Gewicht verlagerte. Sich im Moor zu bewegen muss man lernen. So wie man Rad fahren lernt. Oder auf einer Mauer zu balancieren.

Die anderen, die Erwachsenen, arbeiteten ein Stück entfernt, schichteten den im Frühjahr gestochenen Torf noch einmal zum Trocknen um, damit die Sonne die Wärme für den Winter hineinbrennen konnte. Sie achteten auf nichts rundherum, auch nicht auf das kleine Mädchen. Ihre Hände griffen die Torfstücke wie Maschinenarme, immer zwei von dem aufgeschichteten Ring und legten sie knapp daneben wieder ab, einen neuen Ring formend, die obersten, trockeneren zu unterst. Dann ein paar Schritte zur Seite zum nächsten Ring. Mit gebeugtem Rücken, die Sonne brennend im Nacken, sich keine Pause gönnend, die Arbeit musste getan werden. Ihre Gespräche waren über den Tag verstummt, die Worte mit dem Schweiß davongeflossen. Und den nächsten Ring.

Das kleine Mädchen hatte alle Wollgrasstängel mit den wiegenden weißen Köpfchen in erreichbarer Nähe gepflückt, mehr war nicht zu tun.

Es wünschte sich eine Barbiepuppe wie ihre Freundin aus der Nachbarschaft.

Die Mutter dachte, es wäre schön, wenn die Oma noch leben würde, dann hätte das Mädel bei ihr zu Hause blieben können und müsste nicht auf der Grassode sitzen.

In Berlin demonstrierten die Studenten, geschockt von der Ermordung Benno Ohnesorges, gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg.

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