Hannelore hatte erst rotes Haar, dann fahlgraues. Sie saß an ihrer Nähmaschine vor dem Fenster mit Blick auf die Straße, nähte irgendwas für irgendwen, Hauptsache, es brachte ein bisschen Geld für die Familie ein.

Hannelore konnte kein Brot backen, rührte Rührkuchen mit der Hand, sie war nicht gerade praktisch veranlagt, aber offen für Neues, es gab in ihrer Küche Miracoli, als noch keiner ihrer Nachbarn auch nur dieses Wort gehört hatte.

Man besaß schon Anfang der Sechzigerjahre einen Fernseher, die Nachbarschaft traf sich, es war ein Ereignis, man erzählte noch Jahre später davon.

Hannelore sah aus wie eine Bäckersfrau, rund, weich und warm, wie ein schöner Hefeteig.

Sie war kurzatmig, Asthma, hieß es, wohl von irgendeiner Arbeit mit Lacken und Lösungsmitteln, früher achtete man nicht auf sowas.

Im Haus gab es kein Bad, nur einen Raum dafür, hinter dem Schlafzimmer, der mal ein Bad werden sollte, aber nie wurde. Es lag Schutt drin und ein paar Rohre, mehr nicht.

Hannelore kam aus gutem Hause, ihr Bruder war Unternehmer, irgendwas mit Möbeln, später ging er krachend pleite, vorher hatte er noch seine Frau betrogen.

Hannelore hatte mal einen Getränkevertrieb, vielleicht zehn Sprudelkisten standen in der Waschküche, zusammen mit der großen Zinkwanne, die als Badewanne für die Kinder benutzt wurde. Den Sprudel konnte man kaufen, das Geschäft dauerte nicht lange.

Irgendwie kamen sie nie auf einen grünen Zweig, sie lebten in gebrauchten Möbeln, die sie geschenkt bekamen, nichts passte zusammen, im Laufe der Zeit wurde es immer wüster. Aber die Kinder hatten Bonanza-Fahrräder und Jeansjacken, als noch niemand sowas hatte. Und man fuhr an die Nordsee in Urlaub, jedenfalls mindestens einmal. Später kauften sie einen Scirocco, es passte irgendwie alles zusammen und irgendwie doch nicht.

Es gab ein tolles Jugendzimmer für den ältesten Sohn mit weißen Schleiflackmöbeln und blauer Hushpuppy-Tapete an den Wänden. Ein Traum.

Der andere Sohn schlief in der  „guten“ Stube, angefüllt mit den schweren alten Möbeln, jeder Menge Krimskrams und Nippes und Pieksern für Puschkin-Kirschen, die die Kinder als Flugzeuge über die Wände flitzen ließen. Benutzt für seinen Zweck wurde das Zimmer nie.

Auf dem Flur lagen gebrauchte Teppichfliesen und die Oma hütete ihr Fahrrad in ihrem Schlafzimmer. Die Spitze des Ständers stand in einem Kronkorken, damit das Linoleum nicht beschädigt wurde. Die Oma häkelte Spitzentaschentücher und Topflappen.

Ums Haus war es wie im Haus, es wurde viel angefangen, aber nichts richtig zu Ende gebracht, nichts war fertig, aber immer gab es neue Projekte. Sie waren die ersten, die eine Terrasse mit Gartenstühlen hatten, aber nach kurzer Zeit bröckelten die Betonplatten, die wohl auch ein Geschenk gewesen waren.

Ihr Mann war ein Unruhiger, immer fing er was an, selten brachte er es zu Ende, aber er wusste immer alles besser. Manchmal trank er zu viel.

Hannelore hat bestimmt viel gearbeitet, aber geholfen hat es nicht. Viel hat sie nicht erlebt, weder Schlimmes noch Schönes.

Hannelore starb nach einem leisen Leben ohne jemals ihr Badezimmer bekommen zu haben.

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