„Sie wissen schon, dass das Probleme machen wird, oder?“
Frau Hammermeister sah ihn über den Rand des Lieferscheins hinweg vorwurfsvoll an.
Bruno zuckte die Schultern. Mit einer Geste, die entschuldigend wirken sollte, schob er seine Schiebermütze, die aussah, als stamme sie aus dem ersten Nachkriegsfünfjahresplan, nach hinten und kratzte sich am Kopf.
„Nun ja, Fräulein Hammermeister…“ Er konnte beobachten, wie sie ihre Lippen zusammenkniff und tief Luft holte, was ihn mit diebischer Freude erfüllte. Aber es stimmte doch, sie war nicht verheiratet, also war sie ein Fräulein. So sah er das jedenfalls, früher hatte das doch auch gestimmt, warum sollte es heute anders sein? Außerdem war sie nicht älter als 25, was sollte also falsch daran sein?
„Bruno, das sind viel zu viele Pflanzen. Der Vorstand…“ Ihr resigniertes Kopfschütteln sollte wohl mitleidig wirken, aber er wusste es besser.
„Aber es soll doch nett aussehen für die Besucher. Und die Rosenstöcke werden im Innenhof ganz bestimmt was her machen.“
Inzwischen hatte er die Mütze ganz abgenommen und drehte sie in seinen Händen.
„Und der Rhododendron war nun wirklich nicht mehr zu retten, sollten wir da jetzt eine Lücke lassen?“
„Nun gut, ich werde tun, was ich kann.“
Sie wandte sich von ihm ab und ließ den Lieferschein der örtlichen Baumschule mit spitzen Fingern – ‚Als ob da was dran ist. ’, dachte Bruno – in den leeren Ablagekorb auf ihrem Schreibtisch unter dem Fenster fallen.
„Aber beim nächsten Mal kann ich das nicht akzeptieren.“
„Fräulein Hammermeister…“, setzte er erneut zu einer Erklärung an. Er meinte ein leises Ächzen zu hören und an ihrem Hals zeigten sich die ersten roten Flecken.
„Und außerdem“, unterbrach sie ihn mit einer Stimme mit der man auch Glas hätte schneiden können, „haben Sie heute Morgen vergessen, das Tor zu verriegeln, nachdem Sie gekommen sind. Zum Glück habe ich Ihre Nachlässigkeit bemerkt und es sofort wieder verschlossen.“
Er hätte es sich denken können. Ihre einhundertfünfzigprozentige Dienstauffassung hatte es ihm also eingebrockt, dass er vom äußersten Ende des Parks im Laufschritt zum Tor hatte hetzen müssen, um den Lieferwagen der Baumschule, dessen Fahrer ungeduldig hupend auf sich aufmerksam zu machen versucht hatte, einzulassen. Sinnlos, ihr erklären zu wollen, dass das Tor höchstens eine Viertelstunde offen gestanden hatte. Er verstand sowieso nicht, warum so ein Aufstand deswegen gemacht wurde. Was gab es schon groß zu sichern? Ein teils renoviertes, teils baufälliges Schloss mit ein paar Ausstellungsräumen, in denen die örtliche Geschichte auf Schautafeln und anhand einiger Exponate dargestellt wurde. Ein paar Werke einheimischer Landschaftsmaler, die aber, wie Paul gemeint hatte, nicht besonders wertvoll waren. Und Paul musste es schließlich wissen, als Restaurator und damit oberster Hüter der Schätze von Schloss Klippenstein.
Aber Trixi Hammermeister (ja, wirklich Trixi, nicht mal Beatrix, normalerweise vermied sie es, ihren Vornamen zu nennen) nahm alle Anweisungen des „Vereins der Freunde des Schlosses e.V.“, dessen Sekretärin und einzige Angestellte sie war, überaus genau. Und eine der Direktiven lautet eben, dass das große Tor zum Schlosspark außerhalb der Besuchszeiten stets verschlossen zu halten sei. Ebenso wie alle Türen, durch die man ins Schloss selbst gelangen konnte und die sich von außen nur mit einem passenden Schlüssel, von dem wiederum lediglich Frau Hammermeister und der Vorsitzende des Vereins ein Exemplar besaßen, öffnen ließen. Nicht mal Paul, der doch mehr oder weniger ständig im Schloss arbeitete, besaß einen und war deswegen auf Gedeih und Verderb auf Trixi Hammermeister angewiesen, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen.
Bruno räusperte sich verlegen. „Nun ja, äh…“ Er hatte festgestellt, dass eine gewisse Unterwürfigkeit meistens Erfolg bei ihr hatte.
Ihre grauen Augen, die ihm manchmal etwas reptilienartig vorkamen, blickten ihn missbilligend durch die moderne, eckige Brille aus dunklem Kunststoff an. Manchmal fragte er sich, ob sie überhaupt lächeln oder – noch gewagter – lachen konnte. Aber vermutlich war das unmöglich, schon rein technisch, jedenfalls solange sie ihr schwarzes Haar derart straff zu einem Knoten gebunden hatte. Ein vorwitziger Sonnenstrahl, von der milden Frühlingssonne durchs Fenster geschickt, fing sich blitzend in den Steinen ihrer protzigen Ohrringe. Bruno dachte sehnsüchtig an seine frisch gelieferten Pflanzen.
„Ich muss dann jetzt mal wieder.“ Vor dem weit geöffneten Fenster schob Alex, seit einigen Wochen sein Gehilfe im Park, fröhlich pfeifend eine Schiebkarre vorbei. „Es wird Regen geben, ich muss zusehen, dass ich den Rhododendron vorher gepflanzt kriege.“
„Achten Sie darauf, dass Ihnen das mit dem Tor nicht noch mal passiert. Sonst muss ich es dem Vorstand melden.“ Die roten Flecken an ihrem Hals schienen sich auf das Gesicht ausgeweitet zu haben und er fühlte sich unangenehm an vergangene Zeiten erinnert. Hastig verabschiedete er sich und floh aus dem ultramodern eingerichteten Büro, das zwar zu Fräulein Hammermeister aber so gar nicht zur restlichen Umgebung passte.