Kapitel 7

Alex schüttelte den Kopf, aber bevor er etwas sagen konnte, hörten sie Paul vom anderen Ende des Raumes „Canaletto“ krächzen.

„Was?“, fragten die anderen im Chor.

„Canalettos fehlende 14. Kopie des Dresdner Vedutenzyklus.“ Paul setzte sich mühsam auf, betastete seinen Kopf. „Verdammt, Trixi, das war doch wirklich nicht nötig.“

„Aber Sie haben Alex und Bruno niedergeschlagen!“

„Nein, hab ich nicht, zumindest nicht Bruno, das war nämlich Alex.“

Trixi heulte erneut auf.  „Ich verstehe das alles nicht! Canaletto? Vedu-was? Auf dem Bild ist das Radeberger Rathaus, sonst nichts, kein Dresden.“

„Canaletto und Veduten-Zyklus“, erläuterte Paul erstaunlich geduldig. „Stadtansichten. Canaletto war ein bedeutender venezianischer Landschaftsmaler, der eine Zeitlang in Dresden gelebt hat. Er hat die Originale gemalt, Siebzehnhundertnochwas, im Auftrag des Kurfürsten und Königs Friedrich August II. Der Hauptzyklus umfasst 14 Bilder, die hängen in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister. Sie kennen sie bestimmt, sind auf jeder dritten Postkarte in Dresden und in jedem zweiten Kunstkalender.“ Paul rieb immer noch seinen Kopf, sah aber nicht mehr ganz so blass aus.

„Und was für Kopien? Und was hat das Radeberger Rathaus jetzt damit zu tun?“ Bruno hatte ein etwas wattiges Gefühl beim Denken, das Ganze erschien ihm doch etwas zusammenhanglos.

„Langsam, alles der Reihe nach.“ Man merkte, dass Paul eine Weile sein Geld mit Volkshochschulkursen über Kunstgeschichte verdient hatte. Er fühlte sich ganz in seinem Element. „Canaletto hat für den Ersten Minister des Königs, den Grafen Brühl, Kopien seiner eigenen Bilder des Hauptzyklus angefertigt. 13 Kopien sind bekannt, die 14. galt als verschollen, man war sich nicht mal sicher, ob es sie überhaupt jemals gegeben hatte.“

„Aber was hat das Radeberger Rathaus…“  Trixi war immer noch ratlos.

„Nichts“, antwortete Alex müde an Pauls Stelle, „aber der Cana-Dingsda steckt in dem Rahmen.“

Bruno verlagerte sein Gewicht, ein stechender Schmerz ließ Blitze vor seinen Augen explodieren. „Und du wusstest das?“, fragte er, mühsam den Schmerz unterdrückend.

Alex nickte. „Ja, ich habe ihn beobachtet.“ Er wies mit dem Kinn auf Paul. „Zufällig, als er es aus dem Rahmen gezogen hat. Erst hat er gestaunt wie ein Kind, wenn der Weihnachtsmann auftaucht und sich dann gefreut wie nach der Bescherung.“

„Und dann hast du gedacht, wenn Paul das so toll findet, da klaust du es mal.“

„So ähnlich. Ich meine, wenn Paul schon so aus dem Häuschen gerät, sich aufführt wie Rumpelstilzchen und immer ‚Das ist meine Rettung’ schreit, dann kann man doch davon ausgehen, dass es sich gelohnt hätte, mal zu gucken, was man dafür kriegt. Ich wollte Trixi endlich mal was bieten, ein tolles Auto oder so, eine Reise vielleicht, schickes Essen.“

Paul sank mit einem Stöhnen gegen den Tisch.

„Ähm, Paul, sag mal, was ist das denn so wert? Ich meine, wenn es doch nur eine Kopie ist.“

„Es ist von unschätzbarem Wert“, entgegnete Paul mit tonloser Stimme. „Auf dem legalen Kunstmarkt völlig unverkäuflich. Es ist ein Sensationsfund, der in ein Museum gehört. Aber es gibt Kunstinteressierte, die für so was Millionen zahlen, nur um es zu besitzen, auch wenn sie es nie jemandem zeigen können.“

„Und du wolltest es verkaufen? Das große Geld machen?“ Bruno betastete vorsichtig die hühnereigroße Beule an seinem Hinterkopf.

Paul nickte, sagte aber nichts weiter.

„Aber warum? Warum, Paul? Du bist ein Kunstkenner und –liebhaber, du sagst selbst, es gehört in ein Museum… Du wärst berühmt geworden als der Entdecker einer wahren Sensation. Und du bist doch sonst ein ehrlicher Mensch.“

Bei Brunos letztem Satz zuckte Paul zusammen, Tränen liefen ihm über die Wangen. „Ich hab Schulden.“ Er schniefte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. „Illegales Glücksspiel, die Geldeintreiber sind hinter mir her. Ich… ich bin spielsüchtig, ich hab alles verzockt, meine Frau hat mich deswegen verlassen. Ich kann nicht aufhören. Ich hab gedacht, wenn ich das Bild verkaufe, kann ich die Schulden zurückzahlen, noch mal neu anfangen und sie kommt vielleicht zu mir zurück. Heute Mittag habe ich mit einem Kunstinteressierten in der Schweiz telefoniert. Und mit meinem Geldverleiher, habe versucht ihn hinzuhalten.“

„Schwachkopf!“, war alles, was Bruno dazu einfiel. Paul sah aus wie ein geprügelter Hund.

Nun, nachdem alles geklärt war, sahen sie sich ein wenig ratlos an.

„Und was machen wir den jetzt?“, fragte Trixi mit leicht zitternder Stimme.

Tja, was sollten sie machen? Bruno sah in die Runde und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

„Warum sollten wir etwas machen? Es ist doch gar nichts passiert.“

Alle sahen ihn fragend an.

„Naja, es ist doch ganz einfach: wir hängen den Schinken wieder an die Wand. Paul, du rufst einen Kunstexperten an und teilst ihm die Entdeckung mit. Und dann gehst du zur Polizei, lieferst ihnen die Hintermänner des illegalen Glücksspiels und anschließend machst du eine Therapie, um von deiner Spielsucht loszukommen. Den Rest klärst du mit deiner Bank. Wenn du das hinter dir hast, kannst du deine Frau anrufen. Alex, du versuchst es ab jetzt mal mit anständiger, ehrlicher Arbeit, damit kannst du Trixi vermutlich am ehesten beeindrucken, auch wenn das“, er warf einen Blick auf das verliebte Pärchen, „vielleicht gar nicht mehr nötig ist. Und von Ihnen, Fräulein Hammerstein“, er stach mit seinem Zeigefinger in Richtung ihrer Nase, „möchte ich nie wieder Kritik an meinen Pflanzenbestellungen hören.“

Trixi nickte brav und Alex half ihm auf die Füße. „Tut mir leid, dass ich dir eins auf dem Schädel geben musste.“ Bruno brummelte irgendetwas vor sich hin, was nicht zu verstehen war. Paul hatte den Heimatschinken wieder sorgfältig in die Jutesäcke gewickelt und stand etwas hilflos da.

„Ach, übrigens, wisst ihr was?“ Trixi war mit Alex im Schlepp schon an der Tür und drehte sich mit einem triumphierenden Lächeln um. „Das sächsische Landesgesetz über den Fund von Kunstgegenständen sagt, dass das Eigentumsrecht an der Fundsache dem Besitzer des Fundortes zusteht… somit wohl dem Verein, der Besitzer des Heimatschinkens ist.“

Und so kam es, dass ein paar Tage später die Medien weltweit über den sensationellen Fund der fehlenden Canaletto-Kopie berichteten, die versteckt im Rahmen eines wertlosen Bildes von einem Restaurator in einem renovierungsbedürftigen sächsischen Schloss gefunden worden war. Der Restaurator stand leider krankheitsbedingt für Interviews nicht zu Verfügung, wurde allerdings würdig vertreten durch die Sekretärin des Vereins zur Erhaltung des Schlosses, die vor laufenden Fernsehkameras im Schlosspark eifrig schilderte, wie der bewährte Restaurator zufällig dieses Gemälde von wirklich unschätzbarem Wert gefunden hatte und nicht gezögerte hatte, es der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.

Im Hintergrund sah man einen älteren Gärtner mit Schiebermütze und einen Kaugummi kauenden, langhaarigen Gehilfen emsig Buchsbäume pflanzen.

*** Ende ***

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