Heute vor genau fünfzig Jahren hat ein Erlass des damaligen FPD-Innenministers Hans-Dietrich Genscher das „Fräulein“ abgeschafft. Richtig, „Gensch-Man“, der mit den gelben Pullundern, die Älteren werden sich erinnern. Der war nicht immer nur der Außenminister, von dem es hieß, er würde sich selbst in mehreren Flugzeugen rund um die Welt begegnen, immer auf dem Weg, eine dringende diplomatische Krise zu beseitigen. Hans-Dietrich Genscher hat also dafür gesorgt, dass das „Fräulein“ aus unseren Briefen und unserem Leben verschwand. Guter Mann!
Hat es damals auch Debatten darum gegeben? Hat man den Untergang der Kultur befürchtet? Hatte man Angst, dass die Frauen, die nun nicht mehr „Fräuleins“ waren, zu viel Anteil am gesellschaftlichen Diskurs fordern würden, womöglich mehr als ihrem tatsächlichen Anteil entsprechend? Wo kämen wir da denn hin, wenn alle Gruppen…
Ich kann mich nicht erinnern.
Aber ich kann mich an die Rückzugsgefechte der auch damals schon alten weißen Männer erinnern, als ich einige Jahre später meine Ausbildung in einem mittelständischen Unternehmen voller eben dieser alten weißen Männer machte, die dort das Sagen hatten. Ihr Selbstbild war natürlich noch viel betonierter als heute, sie waren sich ihrer Position so sicher, sie ahnten nicht, was kommen würde…
Frauen in dem Unternehmen waren zuarbeitende Assistentinnen, bedienten die fünf Telefonleitungen, die es gab, um Gespräche mit der Außenwelt zu führen, sortierten Post, waren Datenerfasserinnen, Sachbearbeiterinnen und Sekretärinnen, das höchste, was man erreichen konnte. Und genauso selbstverständlich wie diese Aufgabenzuweisung war es, sie mit „Fräulein“ anzusprechen, solange sie nicht verheiratet waren.
Noch heute erinnere ich mich an das Gefühl diebischer Freude, mit dem ich nicht nur einmal ältere Kollegen (man siezte sich überwiegend) darum gebeten habe, mich mit „Frau“ anzureden, das „Fräulein“ wäre schließlich abgeschafft. Die Reaktionen reichten von herunterfallenden Kinnladen bis hin zu unwilligem Gebrabbel, manche brauchten auch deutlich mehr als einen Hinweis. Vermutlich hatten sie damals auch schon das Gefühl, dass man ihnen ihren Platz in der Gesellschaft streitig machen wollte. Wo kämen wir denn da hin…
Man mag den Abschaffungserlass des „Fräuleins“ als nebensächliche Symbolpolitik abtun, lächerlich aus heutiger Sicht. Und doch war es ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den wir noch heute gehen.
In diesem Sinne: Dank an „Gensch-Man“!
Super und passend wie immer. Ich freue mich schon auf den nächsten Text.
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